Der Nutzen des Abbrechens
von Naomi Aldort

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Frage: Meine Tochter bricht alles ab, was sie anfängt. Sie hat uns gebeten, zum naturwissenschaftlichen Museum gehen zu dürfen und war drei Wochen lang in Naturwissenschaften vertieft, dann hörte sie auf. Sie ist ein Jahr lang zum Tanzunterricht gegangen und hat dann abgebrochen, den Klavierunterricht und das Töpfern hat sie nicht einmal ein Jahr durchgehalten und sie liest sogar manchmal Bücher nicht zu Ende. Wie schaffe ich es, dass sie sich längerfristig mit etwas beschäftigt, und verhindere, dass sie alles abbricht?

Antwort: Eine Mutter erzählte mir von ihrer siebenjährigen Tochter, die nach einem Bluegrass-Konzert Geigenstunden nehmen wollte. Ein halbes Jahr später spielte sie Bach und Mozart, außergewöhnlich gut, und schien eine angehende Musikerin zu sein. Dennoch bat sie ihre Mutter, den Geigenunterricht zu beenden. Sie erklärte: "Als ich den Geiger spielen hörte, war ich sehr neugierig. Ich wollte wissen, wie man solche Töne auf der Geige erzeugt. Jetzt weiß ich es. Ich brauche keinen Unterricht mehr. Die Geige interessiert mich nicht." Wir ziehen oft voreilige Schlüsse, dass ein Kind sich für etwas interessiert, obwohl es etwas vielleicht nur aus Neugierde für eine Weile ausprobieren möchte auf seinem Lernweg. Die Tatsache, dass Ihre Tochter eine Zeit lang Freude an Naturwissenschaften, am Tanzen und am Klavierspielen hatte, bedeutet nicht, dass sie auf Dauer Interesse an diesen Gebieten haben muss. Sie ist weise genug, keine Zeit in etwas zu investieren, das ihr nichts mehr bedeutet.

Einige lebenslange Lerner konzentrieren sich schon in jungem Alter auf eine Leidenschaft und verfolgen sie mit Begeisterung. Wenn Ihr Kind nicht eins von diesem Kindern ist, brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Sie verpasst nichts; sie erforscht das Leben einfach nur auf ihre Weise. Sie werden erleichtert sein zu hören, dass die Eltern des Kindes, das sich in eine Leidenschaft vertieft, sich möglicherweise Sorgen machen, es könne andere Erfahrungen verpassen. Wenn der menschliche Geist seine Freiheit hat und von Liebe genährt wird, stehen ihm effektive Möglichkeiten zur Verfügung sich selbst zu verwirklichen.

Das Wort "abbrechen" impliziert, dass eine Erwartung nicht erfüllt wurde. Ich empfehle Ihnen dringend, dieses Wort durch eines zu ersetzen, das Freude an der Entwicklung Ihres Kindes ausdrückt. Sie könnten sagen, dass es seine Erkundungen abgeschlossen hat oder dass es mit dem, was es erreicht hat, zufrieden ist und nun bereit ist sich etwas Neuem zuzuwenden.

Die Angst, dass Ihr Kind nicht fähig sein wird, an einer Sache dranzubleiben, ist unbegründet. Ein Erwachsener, der regelmäßig Vorhaben abbricht, ist nicht derjenige, dem als Kind erlaubt wurde das Leben frei zu erforschen, sondern derjenige, dessen Forschungsfreiraum eingeschränkt wurde und der sich daran gewöhnt hat Dinge zu tun, die ihm nicht wirklich am Herzen liegen. Im Gegensatz dazu ist für ein Kind, welches beliebig viele Bereiche, zu denen es sich hingezogen fühlt, so intensiv erkunden darf wie es möchte, die Wahrscheinlichkeit wesentlich größer, dass es seine wahren Leidenschaften entdeckt und all seine Energien hierfür einsetzen kann.

Eltern kommentieren häufig das Spiel von Kleinkindern: "Er wird mal Feuerwehrmann." oder "Er ist der geborene Tänzer.", wobei Ihnen sehr wohl klar ist, dass diese Aktivitäten keine Lebensaufgaben sind. Wenn Kinder klein sind, scheinen wir leicht akzeptieren zu können, dass sie sich auf ein Thema stürzen, dann zum nächsten übergehen und so weiter. Solange die Welt für sie neu ist, wollen Kinder alles für eine Minute, eine Stunde, einige Tage, ein paar Monate oder ein paar Jahre ausprobieren. Ist ihr Interesse befriedigt worden oder haben sie ihr Ziel erreicht, wenden sie sich anderen Dingen zu. Was sie gelernt und erlebt haben, bildet den fruchtbaren Boden, auf dem ihre neuen Interessen wachsen. Wenn wir versuchen, sie auf ihre vorübergehenden Unternehmungen festzunageln, verhindern wir, dass sie wachsen; oder sie werden möglicherweise auf der Hut sein, sich für nichts zu intensiv zu interessieren, aus Angst, dass wir sie zwingen könnten, aus etwas eine Lebensaufgabe zu machen, das keine ist. Um die Art und Weise besser zu verstehen, wie Kinder die Welt entdecken, beobachten Sie sich selbst; Sie besuchen Kunstmuseen ohne dem Besuch ein Kunstprojekt folgen zu lassen; Sie gehen wandern und erforschen die Natur ohne nach Hause zu kommen und sich gleich zu einem Biologiekurs anzumelden; Sie besuchen willkürlich Töpfer-, Tanz- und Yogakurse ohne Kontinuität oder Sie spielen ein Instrument für eine Weile nur so aus Spaß; und Sie lesen Teile von Büchern und Artikeln und legen Sie mittendrin fort, wenn sie Ihnen das gegeben haben, was sie wollten.

In einem Seminar fragte mich ein Vater: "Woher weiß ich denn, was die Leidenschaft meines Kindes ist? Ich möchte wissen, wann ich für Material oder Stunden sorgen sollte." Meine Antwort ist: Versuchen Sie erst gar nicht, die Leidenschaften ihres Kindes aufzudecken; es wird Sie so unmissverständlich von seinen Leidenschaften in Kenntnis setzen, wie es Sie wissen lässt, dass es Süßigkeiten möchte. Alles, was Sie tun müssen, ist die Interessen des Kindes zu unterstützen und es verschiedene Erfahrungen machen zu lassen ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Wenn Sie sich fragen: "Ob dies wohl die Leidenschaft meines Kindes ist?", dann ist sie es nicht. Wenn sie es wäre, hätten sie keinen Zweifel.

Der Unabhängigkeitsempfinden eines Kindes kann durch Erwartungen der Eltern leicht gestört werden. Vermeiden Sie es, aus der Neugierde Ihres Kindes sein Schicksal zu machen. Wenn es über Planeten spricht und Fragen über sie stellt, machen Sie aus der Unterhaltung keine Astronomie-Stunde; beantworten Sie einfach nur die Frage. Ein sensibles Kind wird möglicherweise von seiner wahren Leidenschaft Abstand nehmen, wenn es das Gefühl hat, dass Sie von der Leidenschaft seiner Wahl Besitz ergreifen. Wenn es mehr wissen möchte, wird es danach fragen. Ist etwas einmal zu einer dauerhaften Leidenschaft geworden, können Sie ihm vertrauensvoll die Führung überlassen und seine Vision unterstützen, wobei Sie aber aufpassen sollten, dass Sie seine Leidenschaften nicht zu den Ihrigen machen. (Wie man das macht, schreibe ich in einem weiteren Artikel.)

Um sich weiter von alten Vorstellungen zu lösen, denken Sie immer daran, dass das Konzept, dass man auf einem oder zwei Gebieten Experte ist, nur eine weitere von der eingeschränkten Denkweise in unserer Kultur bestimmte Überzeugung ist. Wenn Sie diesen Gedanken hinter sich lassen können, können Sie vielleicht die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Ihr Kind als Erwachsener für den Rest seines Lebens einer Reihe von Interessen nachgehen kann und daraus große Erfüllung und Wohlstand resultieren können.
 

© Copyright Naomi Aldort
 

Ursprünglich veröffentlicht in "Life Learning : the International Magazine of Self-Directed Learning", Januar/Februar 2004, ISSN 1499-7533, S. 23-24.

Aus dem Amerikanischen übertragen von S. Mohsennia.
 

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